21. September 2015 │ Magdeburg

Hintergrundgespräch „,ich will Euch geben, was recht ist’ (Mt 20,4) –
250 Tage Mindestlohn – Wer hatte Recht?“ am 21. September 2015
im Rahmen der „Magdeburger Gespräche“


Von links: RA Cornell Witte (Ansprechpartner IHK), RD Oliver Pampel-Jabrane (Bundesfinanzdirektion Mitte), Klaus Skalitz (Caritasverband für das Bistum Magdeburg e.V.), Dr. Reinhard Grütz (Kath. Akademie des Bistums Magdeburg), Prof. Dr. Clemens Dölken O.Praem. (Eur. St.-Norbert-Stiftung), Prof. Dr. Joachim Weimann (OvGU Magdeburg), Peter von Pokrzywnicki (BKU DV Magdeburg)

Im Rahmen der „Magdeburger Gespräche“ fand am 21. September 2015 in Kooperation des BKU DV Magdeburgs, der Katholischen Akademie des Bistums Magdeburg sowie der Europäischen St.-Norbert-Stiftung ein Hintergrundgespräch zum Thema „,ich will Euch geben, was recht ist’ (Mt 20,4) – 250 Tage Mindestlohn – Wer hatte Recht?“ im Roncalli-Haus Magdeburg statt. Absicht des Abends war es, verschiedene Perspektiven darzustellen, die die aktuellen Erfahrungen mit dem Mindestlohn sowie die gegenwärtige Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt aufzeigen. Um multiperspektiv Erfahrungen auszutauschen, wurden vier Referenten aus der Wissenschaft (OvGU Magdeburg), der Wirtschaft (IHK Magdeburg), der Caritas sowie dem staatlichen Bereich (Bundesfinanzdirektion) eingeladen. Mit interessierten Teilnehmern aus Wirtschaft, Politik und Kirche wurde die sozialpolitische Sichtweise der Einführung eines menschenwürdigen und existenzsichernden Familieneinkommens sowie die ökonomische Perspektive eines beschäftigungssichernden Marktlohnes (Vollbeschäftigung) mit der Einführung des Mindestlohnes in kompakter Form analysiert.

Der erste Referent Prof. Dr. Joachim Weimann, Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftspolitik an der Otto-von-Guericke-Universität, erläuterte anhand der Entwicklung aktueller Arbeitslosenzahlen einzelner Sektoren, wie diese sich seit der Hartz-IV-Reformen bis hin zur Einführung des Mindestlohnes veränderten. Zwar haben sich die Hartz-IV-Reformen positiv ausgewirkt, jedoch scheint sich seit der Einführung des Mindestlohnes dieser Trend umzukehren. Die Zahl der Minijobs sei eindeutig eingebrochen – im Osten stärker als im Westen – und der seitens der Politik erhoffte Zuwachs bei den Vollzeitjobs fällt gering aus. Dazu sind de Arbeitskosten in den einzelnen Arbeitssegmenten, insbesondere im gering qualifizierten Sektor, massiv gestiegen. Es stellt sich die Frage, wie Arbeitgeber diesen Kostenanstieg weitergeben können. Prof. Weimann zog sein Fazit, dass die Mindestlohnwirkung bis jetzt kaum sicher anzugeben ist. Man geht davon aus, dass es zu Arbeitsplatzverlusten in den relevanten Teilbereichen kommt.

Als Vertreter für die IHK Magdeburg referierte Cornell Witte, Rechtsanwalt und bei der IHK Referent für die Rechtsgebiete des gesamten IHK-, Wirtschafts- und Verwaltungsprozessrechts. Die IHK zeigte sich seit Beginn der Diskussion um die Einführung des Mindestlohnes skeptisch wegen der Dokumentationspflichten. Die Anzahl der Rechtsberatungen der Unternehmen sind enorm angestiegen. Die Konsequenzen seit der Einführung des Mindestlohnes sind schwer zu messen; es gibt Horrormeldungen aus der Gastronomie, wo viele Minijobs entfallen und dafür Selbständigkeit zunimmt. Praktikumsverhältnisse, die zudem noch klarer definiert werden müssen, sind auch inakzeptable Lösungen. Die Unternehmen bemängeln fehlende Flexibilität. Laut einer Umfrage aus einem anderen IHK-Gebiet sieht eine große Anzahl der Unternehmer keine andere Möglichkeit die zusätzlichen Kosten zu kompensieren als durch das Umlegen der Kosten auf den Kunden. Weitere angegebene langfristige Folgen reichen von der Reduzierung der Arbeitsstunden der Mitarbeiter über Verringerung von Investitionen bis hin zum schlussendlichen Stellenabbau. Für RA Cornell Witte sind der Mindestlohn und seine Folgen in den Unternehmen angekommen. Noch zögern die Unternehmer die Mitarbeiter zu entlassen und suchen Lösungsmöglichkeiten diese zu halten. Das prognostizierte Entlassungsmodell ist aktuell an den veröffentlichten Zahlen noch nicht ablesbar. Für einige Branchen, insbesondere dort, wo Akkordlohn gezahlt wird, werde es zukünftig besonders schwierig werden.

RD Oliver Pampel-Jabrane, Referatsleiter RF 2 der Bundesfinanzdirektion Mitte, stellte in seiner Präsentation die ersten aktuellen Erfahrungen mit dem Mindestlohn aus den Prüfungen durch den Zoll dar. Nach einer Vorstellung der Arbeitsweise sowie der Prüfrechte und der Ermittlungsarbeit des Zolls, fokussierte er seine Ausführungen auf die Haupt- und Nebenpflichten, die der Unternehmer seit der Einführung des Mindestlohnes zu erfüllen hat. Als Hauptpflicht ist die Zahlung des Mindestlohnes zu gewährleisten, die Nebenpflichten umfassen die Aufzeichnungs-, Melde-, Bereitstellungs- und Aufbewahrungsplicht. Je nach Schwere der Verstöße gegen die Pflichten werden Geldbußen verhängt oder sogar strafrechtliche Maßnahmen wie Freiheitsstrafe bis zu 10 Jahren vollzogen. Derzeitige Aufgabenschwerpunkte sind aber vor allem Information und Beratung von Unternehmen. Durch die Einführung des Mindestlohnes wurden folglich vor allem die Dokumentationspflichten ausgeweitet. Gemäß den Ausführungen des Referenten ist aktuell kein signifikanter Anstieg der Zahlen von Schwarzarbeit zu verzeichnen. Die Anzahl der laufenden Verfahren wegen Verstöße gegen das Mindestlohngesetz ist im überschaubaren Bereich. RD Pampel-Jabrane wies daraufhin hin, dass die Schwierigkeiten eher bei der Einhaltung der Aufzeichnungs- und Dokumentationspflichten seitens der Unternehmer liegen, welches zu einem erheblichen Anstieg der Verwaltungsarbeit führt.

Der Direktor des Caritasverbands für das Bistum Magdeburg e.V. Klaus Skalitz führte in seinem Vortrag zunächst aus, dass die Caritas auch bei der Bezahlung von Hilfskräften in der Regel deutlich über dem Mindestlohn liegt. Direkte Folgen für die Caritas sind der Verlust des Wettbewerbsvorteils gegenüber Mitbewerbern und dass Transferleistungen zurückgehen und damit die Kosten auf den Arbeitgeber umgelegt werden. Der Caritas-Direktor zeigte sich besorgt, dass Jugendliche auf weniger gut bezahlte Ausbildungen verzichten zu Gunsten eines Aushilfsjob zum Mindestlohn. Offene Fragestellungen sind auch im Bereich der Bezahlung der Bereitschaftsdienste, der Werkstätten für Menschen mit besonderen Behinderungen und bei Praktika, die länger als 3 Monate dauern (z.B. Bundesfreiwilligendienst), zu finden. Dort muss der Staat unbedingt noch Lösungen finden.

Nach einer anschließenden regen Diskussion, in der verschiedenste Aspekte und auch viel Kritisches angesprochen wurde mit den weiteren Teilnehmern, stellten diese fest, dass die neu entstandene Bürokratie unbedingt mit mehr Flexibilität entzerrt werden muss. Die erfolgreichen Ergebnisse der Hartz-IV-Reformen werden zurückgedreht mit der Einführung des Mindestlohnes, da die Ziele im Konflikt zueinander stehen. Fehlanreize sind entstanden, die es zu beseitigen gilt. Insbesondere im Sektor Geringverdiener, dabei vor allem im ostdeutschen Raum, wurde den Menschen mit der Einführung des Mindestlohnes noch nicht geholfen.

Bei einem abschließenden kleinen Imbiss bestand Gelegenheit die Gespräche über die fundierten und faktenreichen Vorträge der Referenten zu intensivieren.

 

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